Auf der Suche nach Hilfe

Auf der Suche nach Hilfe in einer wie auch immer gearteten Situation, die wir dringend zu verändern wünschen, machen wir uns auf die Suche nach Helfern, nach einer Hilfe von außen. Hilfsbedürftig und ratlos sind wir allein deshalb, weil wir uns auf einem für uns unbekannten Territorium befinden, in einem Fachgebiet, mit dem wir uns bislang nie beschäftigt haben.

Aus dieser Position heraus, ohne eigene Erkenntnisse und Erfahrungen die unmittelbar vor uns stehende Herausforderung betreffend, machen wir uns auf die Suche nach eben diesem Helfer oder einer Helfergruppe und müssen zumindest darüber eine Entscheidung treffen, wem wir nun unser Vertrauen schenken wollen und wem nicht. Auch müssen wir nach dem Prinzip von „Geben und Nehmen“ eine Entscheidung hinsichtlich einer Gegenleistung für die zu erwartende Hilfeleistung, die wir nun aus unserer Unkenntnis heraus bewerten sollen, treffen.

Also machen wir uns auf den Weg und hören uns die Selbstdarstellungen der unterschiedlichen Helfer, die zum anstehenden Thema ihre Dienste anbieten, an. Wir haben dabei große Angst eine falsche Entscheidung zu treffen, denn schließlich befinden wir uns in einer bedrohlichen Situation, für die wir einzig einen positiven Ausgang wünschen. Doch können wir wiederum die Selbstdarstellungen der sich anpreisenden Helfer nicht bewerten, da uns ja die Fachkenntnis auf dem Gebiet, in dem wir Hilfe suchen, fehlt.

Was machen wir in solch einer Situation?

Meist trauen wir es uns nicht zu, selbst die nötige Fachkenntnis zu erwerben. Wir verlassen uns  stattdessen auf unser Gefühl, auf unsere Empfindung.

Bereits Vertrautes löst nun generell bei jedem Menschen angenehme Empfindungen aus, Unvertrautes wirkt eher Angst auslösend. Bei der Vielzahl an Informationen, die bei unseren suchenden Gesprächen mit eventuellen Helfern auf uns hereinströmen, suchen wir also tastend nach Empfindungen, die uns ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Erich Fromm formulierte hierzu in seinem Aufsatz „Drei Filter – Sprache, Logik, Gesellschaft“:
„… die Empfindung kann nur unter der Bedingung bewußt werden, daß sie wahrgenommen, mit einem Begriffssystem und seinen Kategorien in Beziehung gesetzt und darin eingeordnet werden kann. Dieses System selbst ist das Ergebnis der gesellschaftlichen Entwicklung. Jede Gesellschaft bildet durch ihre Lebensweise und die Art ihres Bezogenseins, Fühlens und Wahrnehmens ein System von Kategorien, das die Formen des Bewußtseins bestimmt. Dieses System arbeitet sozusagen wie ein gesellschaftlich bedingter Filter. Eine Empfindung kann nur dann ins Bewußtsein eindringen, wenn sie diesen Filter passiert.“

D. h. unserem Bewusstsein unbekannt erscheinende Informationen werden eher ausgesondert als solche, die in das bisherige Lebensumfeld zu passen scheinen. Wir informieren uns nicht, wir prüfen die dargebotenen Informationen nicht, wir entscheiden gemäß der Prägung unserer Filter, die meist gesellschaftlich bedingt sind.

Fromm hierzu weiter: „Der zweite Aspekt des Filters, der das Bewußtwerden ermöglicht, ist die Logik, die das Denken der Menschen in einem Kulturkreis lenkt. Wie die meisten Menschen annehmen, daß ihre Sprache “natürlich” sei und andere Sprachen nur andere Wörter für die gleichen Dinge verwenden, nehmen sie auch an, daß die Regeln für das richtige Denken natürlich und allgemeingültig seien und <anderes> in einem Kulturkreis unlogisch sei, weil es zur “natürlichen” Logik im Widerspruch stehe.“

Je nach persönlicher Prägung treffen wir nun eine Entscheidung, denn auch dann, wenn wir vermeintlich keine Entscheidung treffen, treffen wir natürlich ebenso eine, nämlich die, keine Entscheidung zu treffen.

Wir treffen die Entscheidung, die uns die angenehmste Empfindung verschafft, eine vertraute Empfindung, kurzum: wir verbleiben in unserem vertrauten Handlungsspektrum…

Aber – hat uns denn nicht unsere bisherige Art zu handeln in die Hilfsbedürftigkeit hineingeführt?!
Wodurch sind unsere Entscheidungskriterien geprägt? Doch durch unser bisheriges gewohntes persönliches privates und gesellschaftliches Leben.

Noch einmal hören wir Erich Fromm weiter zu: „In jeder Gesellschaft dürfen gewisse Gedanken und Gefühle nicht gedacht, gefühlt und ausgedrückt werden. Es gibt Dinge, die man nicht nur “nicht tut”, sondern die man nicht einmal “denkt”. In einem Stamm von Kriegern beispielsweise, dessen Mitglieder davon leben, Mitglieder anderer Stämme zu töten und zu berauben, könnte es einen Einzelnen geben, der eine innere Abneigung gegen Töten und Rauben fühlt. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, daß er sich seines Gefühls bewußt würde, brächte das die Gefahr mit sich, daß er sich völlig isoliert und ausgeschlossen fühlte. Deshalb würde ein Individuum, das eine solche Abneigung fühlt, wahrscheinlich ein psychosomatisches Symptom, etwa Erbrechen, entwickeln, anstatt das Gefühl der Abneigung in sein Bewußtsein dringen zu lassen.

Genau das Gegenteil würde man bei einem Mitglied eines friedlichen, ackerbauenden Stammes finden, das den Drang verspürte, Mitglieder anderer Gruppen zu töten und zu berauben. Es würde sich wahrscheinlich ebenfalls nicht gestatten, sich seiner Impulse bewußt zu werden, sondern würde statt dessen ein Symptom entwickeln – vielleicht heftige Angst.“

Klingt also nahezu aussichtslos, dass wir, wenn wir uns einzig auf unsere Empfindungen verlassen, zu einer Entscheidung finden werden, die uns tatsächlich aus unserer als aussichtslos empfundenen Situation herauszuführen imstande ist. Wir verweilen innerhalb der uns vertrauten Empfindungen, die zu einem nicht unwesentlichen Anteil von der uns direkt umgebenden sowie zusätzlich auch von der durch die Medien sich darstellenden Gesellschaft geprägt wurden. Zu sehr fürchten wir in archaischer Weise, von der Gesellschaft bestraft oder gar ausgestoßen zu werden und dann nicht mehr überlebensfähig zu sein.

Neue Wege machen Angst, so viel Angst, dass die Buchstaben vor unseren Augen und die Worte in unseren Ohren verschwimmen, wir keinen klaren Gedanken fassen können geschweige denn unser Wissen auf dem uns existentiell bedrohenden Gebiet zu erweitern in der Lage wären. Hatte nicht schon der Lehrer als erster Repräsentant der Gesellschaft in unserem Leben in der Schule gesagt, dass wir weder intelligent genug seien, um schwierige Sachverhalte zu verstehen, noch gar diese selbst zu erarbeiten?!

Fromm ist auch hier heute so aktuell wie zu seiner Zeit: „…in Wirklichkeit besteht der größte Teil des bewußten Denkens der Menschen nur in Fiktion und Täuschung. Der Grund hierfür ist nicht so sehr die Unfähigkeit der Menschen, die Wahrheit zu sehen, sondern die Funktion der Gesellschaft.

Während des größten Teils der Geschichte der Menschheit hat stets (mit Ausnahme einiger primitiver Gesellschaften) eine kleine Minderheit über die Mehrheit ihrer Mitmenschen geherrscht und sie ausgebeutet. Um das zu erreichen, hat die Minderheit meistens Gewalt angewendet; aber Gewalt ist nicht genug. Auf die Dauer mußte die Mehrheit ihre Ausbeutung freiwillig anerkennen – und das ist nur möglich, wenn ihr Geist mit den verschiedensten Lügenmärchen erfüllt wurde, die die Anerkennung der Herrschaft der Minderheit erklärten und rechtfertigten.

Das ist jedoch nicht der einzige Grund dafür, daß das meiste von dem, was das Bewußtsein der Menschen über sie selbst, über andere, über die Gesellschaft usw. enthält, erfunden ist. Im Lauf der historischen Entwicklung entsteht in jeder Gesellschaft zwangsläufig das Bedürfnis, in der besonderen Form bestehen zu bleiben, zu der sie sich entwickelt hat, und das erreicht sie gewöhnlich, indem sie die höheren Ziele der Menschheit, die alle Menschen gemeinsam haben, außer acht läßt.

Dieser Widerspruch zwischen dem sozialen und dem allgemeinen Ziel führt (auf sozialer Ebene) ebenfalls zur Erdichtung von allen möglichen Fiktionen und Illusionen, die die Aufgabe haben, die Spaltung zwischen den Zielen der Menschheit und denen einer gegebenen Gesellschaft abzuleugnen und dies zu begründen…“

Lohnt es sich für uns nicht doch, durch den Schleier des „Nicht-Verstehens“ hindurch zu treten, uns wirklich sachlich kundig zu machen, so lange Augen und Ohren weit aufzureißen, bis wir eine Entscheidung zu treffen imstande sind, die sich an tatsächlichen Fakten, tatsächlichen Erfolgswahrscheinlichkeiten orientiert anstatt an Empfindungen im Nebel des Nicht-Wissens?! Glauben sollte man wahrlich niemandem, egal welchen Titel jemand führt oder wie sehr er von sich überzeugt ist bzw. andere von sich zu überzeugen sucht. Doch sich selbst zuzutrauen, die geplante Vorgehensweise eines Hilfeanbieters zu überprüfen, so lange nachzufragen, bis wir wirklich selbst verstehen, nach welcher Systematik dieser vorgehen möchte, zu überprüfen, wie oft er bereits erfolgreich war mit dieser Taktik, alle Fragen die in uns entstehen auch zu stellen, es nicht zu akzeptieren, belogen zu werden – all dies ist durchführbar für einen jeden von uns.

Ich wünsche uns allen Mut, die eigene Situation selbst in die Hand zu nehmen und sachliche Entscheidungen zu treffen. Stellen Sie sich doch einfach einmal selbst die Fragen, die Sie beantwortet haben möchten. Stellen Sie sich diese Fragen immer wieder, stellen Sie sich selbst die Frage, wo man eine Antwort auf Ihre Fragen finden könnte, trauen Sie sich selbst zu, dass Sie bislang nicht Wahrgenommenes Stück für Stück doch wieder wahrnehmen können!

Beginnen Sie jetzt! Wozu noch warten?!

Herzliche Grüße

Cornelia Böhmer