Das Bundesverfassungsgericht erteilt Münchner Gerichten eine deutliche Abfuhr!

Jetzt ist es so weit! Das Bundesverfassungsgericht hat uns Recht gegeben (wir berichteten bereits im Blogbeitrag vom 03.08.2014 „Freud und Leid der Verfassungsbeschwerde“ weiter unten) – und das viel schneller als erwartet. Am 06. August 2014 hat der zweite Senat des BVG einstimmig beschlossen (2 BvR 1340/14), dass die von uns im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens vor dem Amtsgericht München angegriffenen „Machenschaften“ hinsichtlich eines Vollstreckungsschutzantrags nach § 765a ZPO, den man nicht bearbeiten wollte, weil vom Zuschlag selbst ja keine lebensbedrohliche Gesundheitsgefährdung ausginge, sondern erst von der Zwangsräumung, absolut verfassungswidrig sind.

Ergebnis: „Der Beschluss des Landgerichts München I vom 14. Mai 2014 – 20 T 7698/14 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht München I zurückverwiesen.“

Der angegriffene Beschluss des Landgerichts München I hatte die Zurückweisung unserer Zuschlagsbeschwerde zum Inhalt, in der wir die genannte Rechtsauffassung des Amtsgerichts München, mit der dieses die Zuschlagserteilung ohne jede Berücksichtigung der tatsächlich auch heute immer noch bestehenden akuten Lebensgefahr unseres 80-jährigen Vereinsmitglieds gerechtfertigt hatte, als verfassungswidrig und insofern als völlig unzulässig deutlich gemacht hatten.

Das Bundesverfassungsgericht schreibt in seiner Begründung hierzu unter anderem folgendes:

„Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden und die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.“

Und weiter:

„Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluss des Landgerichts vom 14. Mai 2014 verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Ausnahmefällen – auf unbestimmte Zeit einzustellen ist. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden, unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen (vgl. BVerfGE 52, 214 <219 f.>; BVerfGK 6, 5 <10>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 2014 – 2 BvR 2457/13 -, juris, Rn. 9).

Die Vollstreckungsgerichte haben in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgeschlossen werden und dadurch der sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergebenden Schutzpflicht staatlicher Organe Genüge getan wird. Dies kann es erfordern, dass Beweisangeboten des Schuldners, ihm drohten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen, besonders sorgfältig nachgegangen wird (vgl. BVerfGE 52, 214 <220 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 2014 – 2 BvR 2457/13 -, juris, Rn. 10).

Nach diesen Maßstäben ist der Beschluss des Landgerichts München I vom 14. Mai 2014 mit dem Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht zu vereinbaren (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Das Landgericht ist seiner Pflicht, den Sachverhalt sorgfältig aufzuklären, nicht hinreichend nachgekommen. Es stellt selbst fest, dass es hinsichtlich der vom behandelnden Arzt für möglich gehaltenen lebensbedrohlichen Entgleisung des Bluthochdrucks mangels medizinischer Sachkunde zur Annahme von Wahrscheinlichkeiten bei Stresssituationen eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit der Beschwerdeführerin weder bejahen noch verneinen könne. Seine Erwägung, eine solche Gefahr werde jedenfalls nicht schon durch den Zuschlagsbeschluss, sondern allenfalls durch eine anschließende Zwangsräumung begründet, weil nach dem ärztlichen Attest nur „der Vollzug der Zwangsvollstreckung“ zu vermeiden sei, lässt wesentliche Inhalte des Attestes unberücksichtigt. Danach bestand schon aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Zwangsversteigerung die Sorge vor einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch lebensbedrohliche Entgleisungen des Bluthochdrucks mit der potentiellen Gefahr einer tödlich verlaufenden Ruptur des Bauchaortenaneurysmas sowie durch eine Zunahme der depressiven Stimmungslage mit Eigengefährdung. Ohne weitere Aufklärung hätte das Landgericht deshalb eine Lebensgefahr durch die Zuschlagserteilung nicht lediglich unter Hinweis auf die in dem letzten Satz des Attests enthaltene unklare Formulierung und die von der Tochter der Beschwerdeführerin zur Milderung der durch den Zuschlag geschaffenen Stresssituation gewählte Notlüge verneinen dürfen.

Der Beschlus.s des Landgerichts München I vom 14. Mai 2014 ist wegen des Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 LV.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Es kann daher dahinstehen, ob die Entscheidung des Landgerichts die Beschwerdeführerin auch in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.“

Die Thematik ist ja bereits seit Jahren immer wieder (allerdings primär im Zusammenhang mit der Problematik potenzieller und akuter Suizidgefährdung) vom BVG eindeutig behandelt und entschieden worden, was allerdings dazu führte, dass manch ein Gericht bei einer vermeintlich rein körperlichen Gesundheitsproblematik solche Vollstreckungsschutzanträge zurückweist, weil eben gerade keine Suizidgefährdung geltend gemacht wurde (wie engstirnig…). Auch stellen wir leider immer wieder fest, dass sich manch ein Gericht offenbar nicht vorstellen kann, dass der Mensch keine „Maschine“ mit Zahnrädern, Motor und Getriebe ist, sondern (um im Bild zu bleiben) dass daneben die „Software der Maschinensteuerung“ durch massive Konfliktsituationen ebenfalls beschädigt werden und dies zu psychosomatischen Erscheinungen führen kann, ja bis hin zum Tode. Der Volksmund mit seinen bildhaften Beschreibungen wäre da ein guter Lehrmeister: „Vor Schreck tot umfallen“, „vor Angst blieb mir die Luft weg“, „mich trifft der Schlag!“, „das schlug mir schwer auf den Magen“, „das habe ich noch nicht verdaut“, „vom Kummer völlig zerfressen“ und vieles mehr, was die mitunter unmittelbare Einwirkung massiver Ereignisse auf körperliche Vorgänge plastisch beschreibt – und heute Gegenstand der Forschung eines wenn auch noch kleinen Kreises spezialisierter engagierter Ärzte und Wissenschaftler ist.

Dass bei anhaltender Konfliktlage es zu chronischen körperlichen Symptomen kommen kann und das von der Bevölkerung aus ihrem Erfahrungshorizont aus als durchaus normaler Effekt eingestuft wird, das gehört nun eben auch zu den zu beachtenden Umständen, die ein Gericht in seine sorgfältigen Erwägungen mit einbeziehen darf und muss. An der Universität Mainz wurde vor ein paar Jahren eine breit angelegte Studie zur Gesundheitsentwicklung im üblichen Rahmen verarmter Bevölkerungsschichten (Hartz IV etc.) durchgeführt – mit überaus erschreckenden Ergebnissen – die Abteilung gibt es allerdings mittlerweile nicht mehr – und die Studienleiterin wagte es nicht, mir am Telefon irgendwelche Auskünfte zu erteilen … sie hat mir allerdings die Studie zukommen lassen…

Die Konsequenz aus dieser allmählich erweiterten Wahrnehmung über das rein mechanistische hinaus wird am Ende eine Überprüfung der Wertesysteme und der „Spielregeln“ unserer immer noch vornehmlich geldorientierten sozialen und wirtschaftlichen Strukturen sein müssen und die heute auf so mancher politischen Fahne herumgeschwenkte Zukunft einer Gesellschaft, welche „Inklusion“ praktiziert, wird dies nicht auf die Hereinnahme behinderter Menschen einschränken dürfen, sondern eine Inklusion aller Menschen verwirklichen müssen. Die Herrschaft des Kapitals über Tod und Leben muss „Geschichte“ werden, Geld wieder zu seiner rein dienenden Funktion im Zusammenleben der Menschen zurückfinden – eine Bewusstseinsentwicklung, die wir nur alle gemeinsam vorantreiben und zur Grundlage unseres eigenen Lebens machen können…

Fazit: Das Leben und die Gesundheit eines Schuldners sind Grundwerte, die über die vermeintlichen Eigentumsrechte der Banken an dem meist doch nur  durch Bilanzverlängerung – also aus dem Nichts – geschaffenen Kreditkapitals.

Nun sind wir alle gespannt, wie das Landgericht München I auf den BVG-Beschluss reagieren wird. Wird es den Zuschlag aufheben? Wird es das Verfahren einstweilen einstellen? Wird es ein medizinisches Gutachten einholen? etc.? Wird es mit Tricks versuchen, das Bundesverfassungsgericht und seine klare Ansage zu umgehen? Wir werden bestimmt weiter darüber berichten.

Die allerbesten Wünsche an unsere Leser – und bleiben Sie gesund!

Ihr/Euer Admin

Freud und Leid der Verfassungsbeschwerde

Geht sonst nichts mehr und ist der Rechtsweg ordentlich ausgeschöpft worden, bleibt noch der Weg zum Bundesverfassungsgericht, welcher immer ein mühseliger ist, und man muss sich grundsätzlich darauf einrichten, dass die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen wird – kein Wunder bei statistischen unter 3% Annahmequote. Vorausgesetzt, man kann eine deutlich erkennbare Grundrechtsverletzung geltend machen, kann es dennoch gelingen, insbesondere, wenn es keine Einzelfallentscheidung betrifft, sondern einen Rechts-Trend, der die Republik zu fluten beginnt und alles andere als verfassungsmäßig ist.

Ja, und wenn dann die Zurückweisung durch das BVG kommt, geschieht das leider fast immer ohne Begründung und man weiß dann nicht, was man falsch gemacht hat. Die meisten Verfassungsbeschwerden werden schon aus formellen Gründen zurückgewiesen, wenn man sich nicht akribisch die Regeln einhält. Sei es, dass man nach dem Endurteil der letzten Instanz es versäumt hat, noch eine „Gehörsrüge“ nachzuschieben, ggf. gekoppelt mit einer „Gegenvorstellung“, damit der Rechtsweg-Sack dann endgültig zu ist, oder aber man hält sich nicht an den systematischen Aufbau der Verfassungsbeschwerde, bei dem eine ganze Reihe von Punkten sauber abgearbeitet werden muss, oder aber das Thema wurde bereits zu früheren Zeiten vom BVG behandelt oder ist einfach nicht interessant genug. Dabei spielt der Streitwert eine absolut untergeordnete Rolle, man darf also nicht denken, dass das BVG Beschwerden eher annimmt, wenn es um sehr viel Geld geht. Nein, die verfassungsrechlichen Verletzungen in ihrer jeweiligen Schwere geben immer den Ausschlag bei der Sache.

Auch das BZVI hat schon zahlreiche Verfassungsbeschwerden erfolglos nach Karlsruhe geschickt, mit allen relevanten Anlagen oft mehr als 100 Seiten Papier. Bisher wurde fast alle zurückgewiesen, eine liegt allerdings noch unentschieden seit bald 2 Jahren in Karlsruhe zur Bearbeitung auf Halde. Doch jetzt hat sich das Blatt gewendet. Das BVG hat auf unsere jüngste Verfassungsbeschwerde, welche mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gekoppelt war, geradezu blitzartig reagiert mit dem Ergebnis, dass zunächst die Zwangsvollstreckung aus einem Zuschlagsbeschluss untersagt wurde. Daraus lässt sich mit Sicherheit schließen, dass die Verfassungsbeschwerde selbst auch in Kürze vom BVG zur Entscheidung angenommen werden wird – denn sonst würde das einstweilige Vollstreckungsverbot ja so gar keinen Sinn machen.

Worum geht es in dem Fall? Das Amtsgericht in München hat bei einer Zwangsversteigerung einen Antrag nach § 765 a ZPO auf Gewährung von Vollstreckungsschutz wegen akuter Lebensgefahr für die Schulderin (keinerlei Suizidgefährdung wohlgemerkt) aus organischen Gründen, welche durch jeden Fall stressbedingten Bluthochdrucks zum Platzen der stark erweiterten Bauchaorta (als Nebenwirkung von verordneten Psychopharmaka) und damit zum Tode führen kann, als irrelevant zurückgewiesen. Die Begründung dabei ist absolut kurios: Die Zuschlagserteilung würde ja noch keinen echten und damit lebensgefährlichen Stress auslösen, sondern der entscheidende Eingriff in den Lebensvollzug würde erst mit der Zwangsräumung eintreten. Da solle man nochmal einen Antrag stellen (dann zu Lasten des sicher maßlos beglückten Erstehers, dann quasi des Herrn über Leben und Tod). Jedenfalls fand das Amtsgericht es für unnötig, sich mit der Sache auseinanderzusetzen (wie gesagt ein neuer Trend, der mir schon bei mehreren Gerichten begegnet ist, vermutlich steckt eine Rechtspfleger-Fortbildung oder auch sogar ein Einzelfallentscheid eines kleinen Gerichts als Impulsgeber dahinter). Die Argumentation des Vollstreckungsgerichts und dann auch in der Zuschlagsbeschwerde des Landgerichts als Beschwerdeinstanz lässt sich etwa damit vergleichen, wenn jemand, der einen anderen vom Balkon des 17. Stockwerks stößt, behauptet, das hätte doch keine Auswirkung auf Leib und Leben, schließlich würde doch erst der Aufprall die entsprechende Dramatik entfalten, ergo wäre er nicht verantwortlich und müsse sich nicht darum weiter kümmern. Zugegeben, ein wenig krass ist das Beispiel schon, aber es trifft leider die Problematik absolut im Kern.

Die Reaktionen der anderen verfahrensbeteiligten insbesondere Gläubiger auf den Inhalt der Verfassungsbeschwerde erspare ich vorsorglich den Lesern meines Blogs, insbesondere die Ausführungen der Rechtsabteilung der verfahrensbetreibenden Gläubigerbank sind derart neben der Spur, dass es nur noch peinlich ist und ich lieber den „guten Ruf“ der Bank an dieser Stelle schützen möchte.

So weit für heute. Ich werde weiter berichten, sobald die Verfassungsbeschwerde dann schließlich angenommen sein wird. Sollte sie denn dann auch noch positiv entschieden werden, wäre das ein Segen für tausende zukünftig betroffene Schuldner, und würde das Bewusstsein so manchen Vollstreckungsgerichts wieder etwas mehr auf die Verankerung seiner Arbeit in Verfassung und Menschenrechten lenken.

03. August 2014

Mit den allerbesten Wünschen – und behaltet den Kopf oben…

Euer ADMIN